Aus einem Brief an Franz Müntefering, ehemaliger Parteivorsitzender der SPD:
Nach der strengen Diät, die der Bevölkerung auferlegt wurde, sollte die Regierung jetzt auch daran gehen, die in der Zeit der Verarmung der öffentlichen Haushalte und Sozialkassen fettgewordenen Kühe zu melken, die sich in Gestalt der international tätigen Unternehmen am Geld der Bevölkerungen ursprünglich reicher Länder bedient haben, ohne für ihre Inanspruchnahme der bereitgestellten Infrastruktur und der sozial organisierten Ausbildung der arbeitenden Menschen entsprechende Steuern zu zahlen.
Dies war möglich durch die bisher klaffende Lücke in der Besteuerung weltweit tätiger Unternehmen, die erst durch ein zu schaffendes europäisches oder letztendlich globales Besteuerungssystem geschlossen wird. Dadurch können sich internationale Unternehmen, die die Infrastruktur vieler Länder in Anspruch nehmen, nicht mehr - durch den Rückzug in ein niedrig (oder gar nicht) besteuerndes Land - der angemessenen Besteuerung entziehen.
Es muß eine globale Besteuerung für international arbeitende Unternehmen geben - durch eine Art " Weltfinanzhof " (die Einzelheiten müssen durch internationale Gremien erarbeitet werden) - deren Steuerbeiträge dann nach einem Standortschlüssel auf die einzelnen beteiligten Länder verteilt werden.
Erst wenn es ein solches globales, gerechtes Steuersystem gibt, können sich die Global Players nicht mehr ihrer Verpflichtung eines steuerlichen Beitrages zu den öffentlichen Haushalten der Länder, deren Ressourcen sie beanspruchen, entziehen. Dann wird auch die Drohung von Seiten der Unternehmen, ihren Standort zu verlagern, nicht mehr in dem bisherigen Maße von Gewicht sein.
Das Problem der verarmten öffentlichen Kassen muß einmal von Grund auf (möglichst in einer weltweiten gemeinsamen Anstrengung) aus der Welt geschaffen werden.
Es ist die vornehmste Aufgabe der weitdenkenden Politiker, sich gerade um die Lösung solcher grundsätzlichen Probleme zu kümmern, um damit auch die Verhältnisse im eigenen Land wieder zu verbessern.
Dem weltweiten Liberalismus als Ursache der öffentlichen Armut, der nicht nur auf Kosten der ärmsten Länder, sondern auch auf Kosten der öffentlichen Haushalte der reichen Länder das Geld der Bevölkerungen aufgrund des bisherigen Ausbleibens der internationalen Besteuerung in die Kassen der multinationalen Unternehmen fließen läßt, wird dadurch gegengesteuert.
Und es wäre besonders für die SPD in der jetzigen Zeit ein gutes Signal an die Bevölkerung, endlich wieder durch das Verfolgen umfassender gerechter und sozialer Zielsetzungen hervorzutreten und durch einen solchen Charakter der Solidarität sich in die Herzen der Menschen einzugraben - was bestimmt nicht zum Nachteil der SPD bei der nächsten großen Wahl ist; eher vielleicht - durch eine große Idee, einem hellen Stern vergleichbar - eine der wenigen Chancen darstellt, die Wahl zu gewinnen.
Was die SPD in der gegenwärtigen Situation braucht, ist ein weittragendes Ziel, das große Teile der Bevölkerung motiviert und - im Gegensatz zur Frustration durch die Einschränkungen der Agenda 2010 - das die Menschen begeistert, weil es an der Ursache ihrer Probleme ansetzt und dadurch Hoffnung entstehen läßt auf eine dauerhafte gerechte und soziale Lösung der Probleme im großen Stil.
In dieser Frage muß sich langfristig zeigen, ob die Politik und die Politiker im weltweiten Zusammenschluß in der Lage sind, die Macht egoistisch agierender Wirtschaftsgruppen, die ihre Macht zur Steuervermeidung nutzen, zu beschränken, um im globalen Maßstab soziale Gerechtigkeit zunächst in Form der gerechten Verteilung der Steuern und im weiteren Sinn der Leistungsprodukte der gemeinsamen Arbeit aller selbstverständliche Realität werden zu lassen.
Eine solche Perspektive für Europa und die Welt - immer wieder eingefordert und überall und in allen Zusammenhängen diskutiert - ist eine Perspektive für eine soziale Form der Globalisierung, die einen positiven Eindruck bei den Menschen hinterläßt, weil sie - gerade angesichts der gegenwärtigen Frustration - ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit für die Verhältnisse in der Welt entspricht.
Mit dieser globalen, visionären und begeisternden Zielsetzung - die bisher fehlte - läßt sich sozialdemokratische Politik in unserem Land wieder erfolgreicher machen - und die Motivation und Stimmung der Bevölkerung zur Teilnahme an landesweiten, bundesweiten und europäischen Wahlen erhöhen.
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